Wie kann die Harmonie zwischen Mensch und Natur wieder hergestellt werden?

  • Experten

    6 February 2021

ré-harmoniser l'humain avec la nature

Es steht nicht gut um das Verhältnis zwischen Mensch und Natur! Die jüngsten Berichte des Weltklimarats (Klima, 2022) oder der Weltnaturschutzunion (Biodiversität, 2021) machen dies deutlich! Warum machen wir uns Sorgen um unsere Zukunft?

Vor weit über einer Million Jahren, als der Mensch das Feuer domestizierte – nachdem er gelernt hatte, immer anspruchsvollere Werkzeuge herzustellen, die er bei sich trug und aufbewahrte – hörte er auf, ein Tier zu sein. Und damit begannen die Sorgen und die Unruhe, von der wir oft sprechen: die Fixierung darauf, dieses Feuer unermüdlich, überall, in jeder Situation und unter allen Umständen am Brennen zu halten, auch bei den längsten Wanderungen durch sehr feuchte Gebiete. Soll das heißen, dass es vorher keine Unruhe gab? Nein, natürlich nicht, aber nicht die gleiche Unruhe, die allen mobilen Tiere mit einem entsprechenden Nervensystem gemeinsam ist, wenn es darum geht, Nahrung zu finden und Raubtieren zu entkommen … Fressen oder gefressen werden?  Das war die Unruhe, die Lucy vor 3 Millionen Jahren kannte!

Heute müssen wir uns abkehren von der Skepsis, die von mächtigen, unverantwortlichen Lobbys geschürt wird und ohne übermäßige Angst (und ohne der lähmenden Öko-Angst zu erliegen) unsere Umweltbelange anpacken und alles tun, um zu reagieren.  Der französische Philosoph Edgar Morin sagte 2018 „… Das Wahrscheinliche ist die Katastrophe, wir steuern auf den Abgrund zu …“. Aber er fügte hinzu „…Dennoch hat es in der Geschichte der Menschheit immer Unwahrscheinliches gegeben, die Zukunft ist nie entschieden … Das Wesen der Metamorphose – wie jeder Schöpfung – ist es, nicht vorhersehbar zu sein … Uns fehlt ein planetarisches Menschheitsbewusstsein …”. Wann werden wir uns unsere gegenwärtige Verantwortungslosigkeit und unsere völlige Geringachtung  dessen, was wir unseren Nachkommen hinterlassen, eingestehen, was übrigens auch die Welt bedroht, in der wir selbst unser Leben beenden werden? Kurzfristiges politisches Steuern funktioniert nicht mehr, die Kriterien, nach denen wir unsere Wirtschaft führen, sind nicht mehr relevant. Es ist nicht das Ende der Welt, sondern das Ende einer Welt, die uns in die gegenwärtige Sackgasse geführt hat. Eine Wirtschaft, die – ohne Berücksichtigung der externen Effekte – darin besteht, Geld durch die Zerstörung der Natur oder den Raubbau an ihr zu verdienen, ist dem Untergang geweiht. Dieselbe Wirtschaft, die unendliches Wachstum in einer endlichen Welt predigt, die morgen von 9 oder 10 Milliarden Menschen bevölkert sein wird, führt zwangsläufig zu sozialem Chaos und Destabilisierung. Ja, es gibt heute viele Gründe zur Unruhe, die oft aus Sorglosigkeit oder durch den kurzfristigen Genuss materieller Güter vom Tisch gekehrt werden – unter Vernachlässigung von drei Viertel der Menschheit … Das Bewusstsein ist zwar allgemein gewachsen – und die schnelle Ratifizierung des Pariser Abkommens 2016 ist ein spektakulärer Beweis dafür –, aber tun wir alles, was nötig ist, um die weit fortgeschrittene Zerstörung unserer Umwelt aufzuhalten? Wann werden wir endlich vom homo faber zum homo sapiens?

Die aktuelle Covid-19-Pandemie veranschaulicht unsere Situation sehr prägnant: Was nicht hätte passieren dürfen, ist eingetreten, und was auf die Gegend von Wuhan beschränkt bleiben sollte, hat sich mit rasender Geschwindigkeit auf der ganzen Welt ausgebreitet. Auch daran ist schuld, dass wir das Leben und die Natur misshandeln! Wenn sie intakt und in gutem Zustand ist, versetzt uns die Vielfalt des Lebens in Staunen, sie nährt, heilt, pflegt, beruhigt und inspiriert uns. Die Wirtschaftstheorie der „Disaster Myopia“ oder Katastrophenkurzsichtigkeit könnte auch auf die Gesundheitskrise angewendet werden. Tatsächlich besteht im Laufe der Zeit die Tendenz, die Wahrscheinlichkeit seltener Schocks in einem ungewissen Umfeld zu unterschätzen, wenn die Wahrscheinlichkeit des Eintretens des Risikos aufgrund seiner geringen Häufigkeit nicht berechnet werden kann. Dies führt dazu, dass wir die Vergangenheit vergessen und uns einbilden, dass es das, was sehr selten ist, nicht gibt! Drei Viertel der neuen Krankheiten seit 1940 sind auf „Artensprünge“ zurückzuführen (Zoonosen).

Und das wird wieder geschehen, wenn wir so weitermachen wie bisher. Die Beschleunigung des Klimawandels ist zweifellos auf die Art und Weise zurückzuführen, wie wir die Ressourcen unseres Planeten missbraucht haben. Die letzten Jahre waren die wärmsten seit 160 Jahren und es wird immer mehr Hitzewellen geben. Wir führen keinen Krieg gegen ein Virus, sondern gegen unsere Aktivitäten und unser Verhalten: zu viel Konsumismus und zu wenig Minimalismus! Letztendlich sind wir selbst der Feind – und nicht das Virus! Dabei vergessen wir ständig, wie abhängig wir von der Natur sind. Kehren wir also vor allem nicht zu einem ungezügelten Wirtschaftssystem zurück, das darauf abzielt, Gewinne zu erzielen, indem es unser Kapital – die Natur – zerstört oder Raubbau daran treibt.

Denken wir immer daran, dass wir aus Wasser, Salzen und Zellen bestehen! Es bleibt zu hoffen, dass dieses kleine Virus, das nur fünfzehn Gene besitzt, den kollektiven Elektroschock auslöst, der uns wieder zur Besinnung bringt.

Gilles Boeuf,
Professor an der Sorbonne Université

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